Lust auf Pflegeberuf machen! Aber wie?

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bezirksgruppe am 25. April 2024

Nachhaltige Gesundheitspolitik hat den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel im Blick, achtsame persönliche Sorge beschäftigt sich nicht nur mit Prävention, sondern auch mit dem Lebensende: Wie möchte ich meine letzten Tage verbringen, wie sterben? Wo weiß ich meine schwerkranken oder hochbetagten Liebsten gut versorgt? Mit diesen Fragen beschäftigt man sich selten – und wahrscheinlich auch nicht gern. Anlass für unsere AG Gesundheit & Soziales, sie auf die Tagesordnung zu setzen!

Am 9. April haben Silke Gebel, pflegepolitische Sprecherin im Abgeordnetenhaus und Dirk Müller, Leiter Bereich Hospiz und Palliative Geriatrie bei der Zentralen Anlaufstelle Hospiz, über „Gesundheitsversorgung vor Ort in Zeiten des Fachkräftemangels“ gesprochen. Außerdem waren Catherina Pieroth-Manelli, gesundheitspolitische Sprecherin und Abgeordnete im Ausschuss für Gesundheit und Pflege, und die langjährige Sprecherin der Grünen Alten, Antonia Schwarz, mit ihrer Expertise dabei.

Ungleich verteilte ambulante ärztliche Versorgung

Silke Gebel erinnerte daran, dass Gesundheit kein alleinstehendes Thema ist, sondern viele Facetten hat. So wirken sich beispielsweise Bildung und Einkommen aus, aber auch der Wohnort. Das hausärztliche Angebot unterscheidet sich stark nach Bezirk: In Charlottenburg-Wilmersdorf besteht rein rechnerisch ein besonders hohes Angebot an hausärztlichen Praxen (Versorgungsgrad 2023: 128 Prozent), während Lichtenberger*innen stark unterversorgt sind (Versorgungsgrad 2023: 79 Prozent).

Zurzeit macht sie verschiedene Pflegepraktika, um Einblicke in den Arbeitsalltag von Pflegefachkräften zu erhalten. Sie erlebe eine hohe Empathie, die es durch bessere Rahmenbedingungen zu fördern gelte. Dazu gehören Wertschätzung, Weiterbildungen und angemessene Vergütung. „Wir dürfen den Versuch nicht aufgeben, Menschen, die den Pflegeberuf verlassen, zurückzugewinnen.“

Außerdem stellte Silke Gebel den aktuellen Stand der Planung des Pflegecampus auf dem Gelände des Vivantes Wenckebach Krankenhauses vor. Er soll auch zur Lösung des Fachkräftemangels in der Pflege beitragen, indem er für angehende Fachkräfte im Gesundheitsbereich einen attraktiven Standort anbietet. Hier soll ein Bildungscampus für ca 3.400 Schüler*innen entstehen. Der Zeitplan, der eine Realisierung bis 2033 vorsieht, ist jedoch voraussichtlich nicht mehr zu halten, da die Finanzierung noch nicht gesichert ist. Der Campus könnte als Beispiel für eine moderne, integrierte Versorgung Strahlkraft entwickeln und „Lust auf den Pflegeberuf“ machen.

Gegen den Fachkräftemangel in der Pflege müssten außerdem in anderen Ländern gemachte Abschlüsse anerkannt und Wege gefunden werden, Geflüchtete für die berufliche Pflege zu interessieren.

Palliative Versorgung zur Regel machen

Eine Chance, pflegende und medizinische Fachkräfte zu entlasten, könnte sein, den ganzheitlichen Ansatz der palliativen Sorge in der Regelversorgung zu stärken, so Dirk Müller. Das Thema Palliative Versorgung gehöre in die Aus- und Weiterbildung von Ärzt*innen und Pflegefachkräften, außerdem brauche es Leitlinien für die palliative Versorgung innerhalb der Regelversorgung. Dies könne dazu beitragen, die Situation vieler Beteiligten zu verbessern: Patient*innen, Angehöriger, Pflegender, ehrenamtliche Sterbebegleitende und Hausärzt*innen.

Man dürfe nicht auf „spezialisierte Oasen“ setzen, stattdessen müsse auf jeder Kliniketage, in jedem Altersheim palliative Erfahrung vorhanden sein. Als Vorbild nannte Dirk Müller Luxemburg: Dort müssen 40 Prozent der Beschäftigten eine Basisqualifikation in Palliativversorgung haben – „das sollte Leitbild für uns sein“.

Er beschrieb eindringlich, welche Probleme die derzeitige „Verschiebepraxis“ von Schwer- und Sterbenskranken mit sich bringt: Am Ende ihres Lebens erscheine vielen Menschen ein assistierter Suizid als vermeintlich würdigere Alternative zu einem System, das zu wenig in die palliative Aus- und Weiterbildung investiert. Man müsse hochbetagte oder schwer kranke Menschen nach ihren Wünschen fragen, ehrlich und offen besprechen, wie man sich ein möglichst selbstbestimmtes Lebensende vorstellt. „Möglicherweise wünschen die Patient*innen bestimmte Therapien gar nicht mehr.“ Eine gute Schmerzkontrolle und stabile Betreuung in vertrauter Umgebung können dann hilfreicher sein.

Auch Antonia Schwarz nannte es „hochproblematisch“, dass so viele Menschen in Kliniken sterben – und ebenso problematisch, dass wir häufig über Pflegeheime statt ambulante Versorgung sprechen. Als vorbildhaft beschrieb sie das Pilotprojekt Stay@Home, Treat@Home“ https://www.kvberlin.de/fuer-praxen/praxisalltag/besondere-versorgungsformen/stayhome-treathome, ein Netzwerk von Nachbarschaftshilfe bis Notfallversorgung, an dem sich verschiedene Institutionen beteiligen. „Wenn Pflegefachpersonal fehlt, müssen wir über neue, niedrigschwellige Formen der Versorgung sprechen.“

Catherina Pieroth-Manelli stellte ein Projekt aus der Praxis vor, das sich durch interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe auszeichnet, die Initiative Stadtteil-Gesundheits-Zentrum in Neukölln (GEKO Berlin): ärztliche Praxen, Beratung, Selbsthilfe, Austausch und ein Café, direkt im Kiez. „Das ist meine Vorstellung von Patientenzentrierung in der Prävention.“ Sie warb ebenfalls für einen ganzheitlichen Ansatz und brachte das Beispiel, dass jemand mit Atemwegerkrankungen möglicherweise Schimmel in der Wohnung hat und diese Fragen geklärt und gemeinsam mit der Hausverwaltung Abhilfe geschafft werden sollten.

„Leben können, sterben dürfen“: Bildungsangebot aus der Praxis für die Praxis

Das Unionhilfswerk bietet Kurse an, in denen man lernen kann, sich Menschen am Ende ihres Lebens ohne Ängste zuzuwenden – auf Deutsch, Türkisch, Arabisch, Vietnamesisch und Polnisch. Termine unter: www.palliative-geriatrie.de/letzte-hilfe

Es gibt außerdem Kurse für Ärzt*innen, sich in Palliativer Geriatrie fortzubilden: Die Kurse „Palliative Geriatrie für die ärztliche Praxis“ finden am 27./28. September und 25/26. Oktober 2024 im Kompetenzzentrum Bildung der Stiftung Unionhilfswerk statt (Richard-Sorge-Straße 21a, 10249 Berlin). Weitere Infos unter: www.palliative-geriatrie.de/bildung. Außerdem ist für Pflegende und Ärztin*innen im Hospiz Verlag das Handbuch „Das 1×1 der Palliativen Geriatrie“ erschienen (www.hospiz-verlag.de).

Die AG Gesundheit & Soziales trefft ihr auf dem Gesundheitsmarkt Friedenau am 5. Mai, 11.00 bis 17.00 Uhr am Breslauer Platz.

Die AG Gesundheit & Soziales trifft sich das nächste Mal am 06. Mai zum Besuch der Wohnungslosentagesstätte Schöneberg: https://gruene-ts.de/termin/ag-soziales-und-gesundheit/

BEITRAG UND BILDMATERIAL: Katrin Heienbrock, AG Öffentlichkeitsarbeit