„Gemeinsam stark“ – Diskussionsrunde mit Sergey Lagodinsky

„Gemeinsam stark“ – Diskussionsrunde mit Sergey Lagodinsky | 30. Mai 2024

Werte und Interessen zusammendenken 

Krieg in Gaza und Antisemitismus in Deutschland, Blockadehaltung statt Mehrheitsentscheidungen in der EU-Politik, die Rolle der Grünen innerhalb der Koalition, ein drohender Rechtsruck im EU-Parlament: Die Teilnehmenden der Diskussionsrunde „Gemeinsam stark – Europas Rolle für Frieden, Menschenrechte und Sicherheit“ hatten viele Fragen an Sergey Lagodinsky, unserem Grünen Spitzenkandidaten und Abgeordneten im Europaparlament. Er ist Außenpolitik-Experte und im Fokus stand die Rolle der Partei bei der Gestaltung grüner Außenpolitik in Kriegszeiten. 

Balance aus Werten und Interessen 

Wie gelingt es, angesichts der vielen Konflikte wertebasierte Außenpolitik zu machen? Hier plädierte Sergey Lagodinsky dafür, wertegeleitete Außenpolitik und die Verteidigung von Interessen nicht als Gegensätze zu sehen: Menschenrechts- und Sicherheitspolitik sollten vielmehr zusammengedacht werden. „Wir nutzen Sicherheitspolitik auch, um unsere Werte durchzusetzen.“ Bisher habe man unter dem Schutzschirm anderer im Inneren eine Politik betrieben, die den unterschiedlichen Parteien erlaubte, „nach der reinen Lehre“ zu handeln. Der Angriff Russlands sei nicht nur eine Zeitenwende gewesen, sondern ein Realitätsschock – nun gelte es, sich zu sortieren.

Frieden muss verteidigt werden

Für die Grünen folgte daraus, dass ihnen von verschiedenen Seiten Kriegstreiberei vorgeworfen wird. Wie kann es sein, dass eine pazifistische Partei sich für Waffenlieferungen einsetzt? Sergey Lagodinskys Antwort: „Wir müssen Menschen erklären, dass grüne Außenpolitik eine Synthese ist zwischen friedenserhaltender Ausrichtung und einer klaren sicherheitspolitischen Haltung.“ Frieden müsse verteidigt werden, gerade angesichts imperialistischer Bestrebungen anderer. Im Wort Schutz stecke eine solidarische Hilfs- und Verteidigungsperspektive. 

Multi-dimensionaler außenpolitischer Ansatz erforderlich

Für die Zukunft sei eine strategische Herangehensweise und Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik auf europäischer Ebene zwingend notwendig. Dazu gehöre zum Beispiel, sich auf mehreren Ebenen und durch einen Mix aus Maßnahmen auf Krisen vorzubereiten. Als Beispiele nannte er die Pflege transatlantischer Beziehungen auch im Hinblick auf eine mögliche zweite Trump-Präsidentschaft, oder ein notwendiges „Ende der Sprachlosigkeit“ nach Beendigung des Krieges gegen die Ukraine. 

Dafür sei eine starke Führung nötig, inklusive der Stärkung des europäischen außenkommissarischen Amtes. Ein*e Verteidigungskommissar*in könne komplementäre Aufgaben wie die Koordination von Rüstungsindustrie, Beschaffungswesen, Standardisierung der Rüstungsproduktion und Finanzierung übernehmen. Sergey fand anerkennende Worte für die Europapolitik Angela Merkels, die es als ihre Aufgabe begriffen habe, nach europäischer Einigkeit zu streben und diese als Führungsperson zu organisieren – „auch, wenn wir nicht immer mit allem einverstanden waren.“

Holistische Außenpolitik „mit Vernunft und Herz“

Grüne Verantwortung und Pflicht sei, darauf zu achten, dass die Politik nicht in Militarismus verfalle. Sondern: „Wofür wir immer eingetreten sind, eine ganzheitliche sicherheitspolitische Ausrichtung“, erklärte er. „Wenn man wertegeleitet handelt, muss man die Kapazitäten haben, um diese Werte notfalls militärisch zu verteidigen. Wenn man militärisch verteidigt, muss dies auf der Grundlage des Völkerrechts geschehen – und damit wertebasiert.“ Auf diese Haltung verwies er auch hinsichtlich des Konflikts zwischen Israel und der Hamas. Bei vielen Kritiker*innen konstatierte der Jurist, der seine Dissertation zum Thema „Meinungsfreiheit und Schutz vor antisemitischen Äußerungen“ schrieb, ein fehlendes Verständnis für das Dilemma des israelischen Staates. Es gäbe viele Konflikte weltweit, beispielsweise in Jemen, Syrien, im Sudan und in der Ukraine, aber die Öffentlichkeit beschäftige sich vorwiegend mit Israel.

Für Solidarität mit der Ukraine eintreten

Aus dem Wahlkampf berichteten Teilnehmende, wie sie spüren, dass das Interesse an der Unterstützung der Ukraine nachlässt. Gleichzeitig steigen Sympathien für Russland. Sergeys Rat: erklären, worum es für Ukrainer*innen geht. „Menschen müssen verstehen, was in der Ukraine, in den besetzten Gebieten, passiert.“ Die Menschenverachtung der russischen Regierung könne man am besten an Einzelschicksalen deutlich machen, auch, indem geflüchtete Menschen ihre Geschichten erzählen.

Investitionen in grüne Transformation und Digitalisierung

Über den Sicherheitsfragen dürfen andere wichtige Themen nicht vergessen werden, darunter Digitalisierung und Klima. Technologien wie KI stellen unsere Gesellschaft vor große Fragen und auch Unsicherheiten. „Wir können diese nur beantworten, wenn wir Teil des Spiels sind.“ Deshalb müssten KI-Kapazitäten in den Bereichen Industrie oder Gesundheitswesen und auch in der Sicherheitspolitik gestärkt werden. Regulierung sei notwendig, aber nun käme es auch auf Förderung und Entwicklung an. Zudem seien Investitionen in grüne Infrastruktur und Technologien unverzichtbar, um nicht abgehängt zu werden. „Das sind europapolitische Themen, aber wir müssen sie innenpolitisch lösen, um außenpolitisch relevant zu bleiben.“

„Der Abend hat gezeigt, wie wichtig es ist, grüne Politik mit ordentlich Rückenwind in die nächste Legislaturperiode des EU-Parlaments zu schicken“

Katharina Hild, Vorstandsmitglied Tempelhof-Schöneberg

Dafür ist noch bei diversen Demos, Nachbarschaftsfesten und vor allem an Infoständen, Haustüren und bei der Frühverteilung Gelegenheit: Wer sich beteiligen möchte, findet alle Informationen und Termine unter: https://gruene-ts.de/europawahl/ bzw. https://gruene-ts.de/mitdir/.