S-Bahnhof nicht länger Baustelle: Meilenstein für Lichtenrade – mit Raum für mehr

Lichtenrade, 28. Juni 2024

Die Wiedereröffnung der Bahnhofstraße verzögert sich – noch fehlt der Vertreter der Deutschen Bahn. „Der steht noch im Stau an der Wünsdorfer Straße“, witzelt jemand aus der wartenden Menge rund um den Platz vor der Salvatorkirche. Es stimmt: An vielen Stellen in den südlichsten Stadtteilen von Tempelhof-Schöneberg wird gebaut; Verkehrsbehinderungen für alle Teilnehmenden sorgen seit Jahren für Konflikte.


Dementsprechend groß ist das Interesse vieler Lichtenrader*innen, die an diesem Freitagvormittag gekommen sind, um sich das Ergebnis der langen Bauarbeiten rund um ihren S-Bahnhof anzusehen. In den vergangenen fünf Jahren entstand ein neuer Bahnsteig; statt der gewundenen, langen Zugänge für Fuß- und Radverkehr und der vollständigen Sperrung für Kraftfahrzeuge führt nun eine Unterführung unter den Bahntrassen die Bahnhofstraße entlang. Bei strahlendem Sonnenschein soll sie feierlich eröffnet werden.

30 Jahre Planungszeit gehen zu Ende
Schließlich ist es soweit: „Eine der größten Baustellen im Zuge des Wiederaufbaus der Dresdner Bahn“, so beschreibt Projektleiter Marcus Reuner (Dresdner Bahn, DB InfraGO) die Maßnahmen rund um den Lichtenradener Bahnhof. Er bedankt sich für die Geduld der Bürger*innen und die gute Zusammenarbeit von Unternehmen, Bezirk und Bürgerinitiative. Deren Vorsitzender, Klaus-Peter Jürcke, erinnert daran, dass die Bahnstrecke auch eine symbolische Bedeutung hat. „Seit der deutschen Teilung, seit 1961 ist hier nur der Personennahverkehr durchgefahren, nicht der Personenfernverkehr.“ Der heutigen Zeremonie gingen drei Jahrzehnte Ringen um die bestmögliche Umsetzung aller Interessen voraus; viele Kompromisse mussten geschlossen werden. Die Bürgerinitiative hätte es beispielsweise gern gesehen, wenn die Bahn auf der unteren Trasse fahren würde, und die Bürger*innen oberirdisch, erklärt Jürcke und erntet Applaus.


Die Dresdner Bahn, Ende des 19. Jahrhunderts Treiber für den Ausbau des Angerdorfes Lichtenrade, gehört zu einem Bahnkorridor, der die Häfen der Nord- und Ostsee mit dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer verbindet. „Wir schließen die Lücke auf der Magistrale zwischen der Ostsee, Berlin, Wien, Prag, um die Schienenanbindung wesentlich zu verbessern“, so Reuner. Auch ein Flughafenshuttle wird demnächst über die Strecke fahren. Lichtenrade als Teil des großen europäischen Projekts: „Ein Stück weit Metropole“, findet Dr. Saskia Ellenbeck, Bezirksstadträtin für Ordnung, Straßen, Grünflächen, Umwelt und Naturschutz.



Metropolgefühl im Dorf
Es stimmt, im Positiven wie im Negativen: Der alte Bahnhof wurde versetzt, auch von seinem ländlichen Charakter ist nichts mehr übrig. Der neue Haltepunkt ist ein fantasieloser Standardbahnhof wie viele entlang der Strecke der S2. Man wird nicht mehr vom Blick ins Grüne empfangen, sondern findet sich umgeben von hohen Schallschutzwänden, die den Ort teilen. Sie sorgen teils für Unbehagen bei Fahrgästen – der Bahnsteig ist von außen nicht einsehbar und es gibt nur einen Ausgang, ganz vorn. Auch die Bürgerinitiative hatte sich für eine durchsichtige Lösung eingesetzt. Denkmalgeschützte Bahnhofshäuschen wurden abgerissen. In Lichtenrade hofft man, dass die noch erhaltenen historischen Gebäude bald wieder genutzt werden, im Rahmen des neuen Quartiers rund um die Alte Mälzerei, vielleicht als Fahrradparkplätze, vielleicht für den angekündigten Biergarten auf dem Gelände des Landhaus’ Lichtenrade.

Bei aller Wehmut: Heute überwiegt die Begeisterung. Es riecht nach Farbe, die neue Fahrbahnmarkierung leuchtet weiß, und wann hat man an einem Berliner Bahnhof zuletzt einen so sauberen Aufzug betreten? Vorbei die Zeiten der langen, umständlichen Wege. Das Ende der Bauarbeiten weckt zudem Hoffnungen auf einen attraktiveren unteren Teil der Bahnhofstraße.

Wo noch vor Kurzem zahlreiche Bagger arbeiteten, bieten gut gelaunte Cateringteams Buletten und Bio-Limonade an. In der vordersten Reihe warten Menschen mit Fahrrädern und Rollern darauf, als erste durch die Unterführung zu fahren. Saskia Ellenbeck, Vertreter der Bauleitung und Klaus Peter Jürcke haben kaum das rote Band durchgeschnitten, als schon die ersten unter Jubel die Unterführung entlangfahren und -flanieren. An ihrem Ende auf der Seite der Prinzessinnenstraße sorgt eine – zunächst provisorische – Fußgängerampel für Sicherheit, ein Verhandlungserfolg der Bezirksverwaltung. Eine zweite wird es auf der anderen Seite geben. Fahrgäste, die mit dem Bus ankommen, haben die kürzesten Wege, die man sich wünschen kann, vor Regen geschützt, barrierefrei.

Saskia Ellenbeck zieht ein positives Fazit der Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Man habe an einem Strang gezogen, um das Beste für die Sicherheit aus einem schwierigen Querschnitt rauszuholen. In Abstimmungen zwischen Bezirksamt, Senatsverwaltung und Deutscher Bahn entstand statt eines ursprünglich geplanten schmalen und ungeschützten Radstreifens aufwärtsfahrend ein geschützter Radstreifen mit entsprechenden Sicherheitsabständen. Auf der anderen Seite gilt Tempo 30 und ein Überholverbot, das Konflikte zwischen Rad-, Bus- und Kraftfahrzeugverkehr minimieren und für größtmögliche Sicherheit sorgen soll. Die ebenfalls ausgehandelten Fahrradstellplätze werden hoffentlich gut erreichbar, beleuchtet, zügig und in großer Zahl gebaut. Dass dies dringend notwendig ist, zeigt sich schon am Tag der Eröffnung: In Ermangelung von Stellplätzen schließen viele Radfahrer*innen ihre Räder rund um die Aufzüge ab – an Geländern, die zur Unterstützung von Passant*innen gedacht sind.

Mit Freigabe der einen Baustelle macht die Bahn eine neue auf: Ab sofort ist der Übergang an der Wolziger Zeile gesperrt. Bis 2025 soll dort eine Unterführung entstehen, die nur zu Fuß oder mit dem Rad nutzbar ist. Auf der Strecke zwischen Bahnhofstraße und Wolziger Zeile wird weiter gebaut werden; hier fehlen noch wesentliche Teile des Streckennetzes für den Fernverkehr. Auch hier engagiert sich die Grüne Fraktion in der BVV dafür, Einschränkungen für Anwohner*innen während der Bauzeit möglichst gering zu halten.


Hintergrund
Um wieder Reisen auf der historischen Fernbahnstrecke zwischen Berlin und Dresden zu ermöglichen, baut die Deutsche Bahn auf insgesamt vier Streckenabschnitten zwischen Berlin-​Südkreuz und Blankenfelde-​Mahlow, parallel zur Strecke der S2. Die Bauarbeiten in Lichtenrade begannen 2019, der Bahnübergang war seit Frühjahr 2020 für den Autoverkehr gesperrt; Fußgänger*innen und Radelnde gelangten über sich häufig verändernde Zugänge zu den Bahngleisen. Auch die Bushaltestellen wurden während der Bauphase versetzt. Gleise der S-Bahn wurden nach Westen verschoben, parallel entsteht eine zweigleisige Strecke für Fernzüge. Mit der Eröffnung der Unterführung ist ein weiteres, wesentliches Stück des Bauprojekts Dresdner Bahn fertiggestellt. Bis Abschluss der Bauarbeiten wird jeder der neun Bahnübergänge entlang der Strecke von Eisenbahnbrücken oder Straßenüberführungen ersetzt. Mit der Strecke für S-Bahn, Regional- und Fernzüge zwischen Südkreuz und Blankenfelde sollen die Fahrzeiten zum Flughafen und in Richtung Dresden kürzer und das Verkehrsnetz entlastet werden.