Masel Tov! 1700 Jahre Jüdisches Leben Jüdische Geschichte in Deutschland. Ein Überblick. 16. April 202120. April 2021 Dieser Beitrag ist Teil des Stichels Nr. 238 zum Thema Gegen Rechts. Alle weiteren Artikel findet ihr bald hier. „Juden haben unsere Geschichte mitgeschrieben.“ Mit diesen Worten würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 21. Februar 2021 in einer Kölner Synagoge die gemeinsame Geschichte und das besonderes historisches Erbe. Anlass war ein Festakt anlässlich des Jubiläumsjahres „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland.“ Steinmeier traf damit den Nagel auf den Kopf, in der Tat ist jüdisches Leben seit vielen Jahrhunderten ein fester Bestandteil unserer kulturellen Identität. Doch wie fing alles an? Im Jahr 321 unserer Zeitrechnung erlies der römische Kaiser Konstantin erstmals ein Edikt an den Kölner Stadtrat, das auch Jüd*innen die Teilnahme an der „curia“ (Entscheidungsgremium) gestattete. Bis sich jüdisches Leben in Mitteleuropa etablieren konnte, sollte es allerdings noch viele Jahrhunderte dauern. Erst im 10. und 11. Jahrhundert bildeten sich allmählich jüdische Siedlungen, zunächst in den Handelsstädten am Rhein und in Süddeutschland, später dann in ganz Mitteleuropa. Jüd*innen blieben allerdings von der durch die Kirche dominierte Gesellschaft ausgeschlossen, lebten zumeist in eigenen Siedlungen oder Stadtteilen und waren gezwungen, sich aufgrund zahlreicher Berufsverbote auf wenige Tätigkeitsfelder zu beschränken. In der Landwirtschaft, im Handel oder im Dienstleistungssektor betätigten sie sich rege am Wirtschaftsleben und unterstanden dabei zumeist dem Schutz der Landesfürsten, die sich ihre Gunst ebenso fürstlich bezahlen ließen. Über weite Strecken war eine antijüdische Haltung, eine Abgrenzung grundlegend für das Selbstverständnis der Kirche im europäischen Mittelalter – auch, weil sie ihren Machtanspruch durchsetzen wollte. Dadurch waren grosse Teile der Gesellschaft beeinflusst. Rechtliche und soziale Ausgrenzung förderten die Entstehung von antijüdischen Vorurteilen und Handlungsweisen. Immer wieder waren es schwerwiegende Wirtschaftskrisen, die gewaltsame Vorgehen der christliche Mehrheit gegen Jüd*innen auslösten. Ein Tiefpunkt waren schwere Pogrome im 14. Jahrhundert, als man vielerorts die jüdischen Gemeinden für den Ausbruch der Großen Pest verantwortlich machte. Sie führten zum Ende zahlreicher Gemeinden in den urbanen Zentren. In Berlin und Brandenburg wurde die jüdische Minderheit in dieser Zeit sogar des Landes verwiesen. Nichtsdestotrotz blieb jüdisches Leben immer ein integraler Bestandteil unserer Geschichte. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert beteiligten sich zahlreiche jüdische Künstler*innen und Wissenschaftler*innen am Aufschwung des kulturellen Lebens. Der Philosoph Moses Mendelssohn, der Physiker Albert Einstein oder die Schöneberger Dichterin und Nobelpreisträgerin Nelly Sachs sind nur wenige Beispiele für den Beitrag jüdischer Menschen an der deutschen Geschichte. Doch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts und erst nach mühevollen Kämpfen erlangten die Juden (nicht aber Jüdinnen) in Deutschland ihre rechtliche Gleichstellung. Jedoch konnten solche Errungenschaften und trotz ihrer zunehmenden sozialen und kulturellen Assimilation nichts daran ändern, dass jüdische Menschen auch in der Folgezeit weiterhin allzu häufig Opfer von Verleumdung, Ausgrenzung und Gewalt wurden. Das nationalsozialistische Terrorregime, die systematische soziale Ausgrenzung jüdischer Bürger*innen und letztendlich die Vernichtung des europäischen Judentums im Rahmen der Shoah markierten schließlich einen beispiellosen Tiefpunkt. Die damaligen Menschheitsverbrechen zeigen uns, dass wir insgesamt bei jeglichen Anzeichen von Ausgrenzung und Menschenhass aufmerksam sein müssen – und hinterlassen uns eine Verantwortung, die uns in Gegenwart und Zukunft verpflichtet. Dennoch: Heute sei jüdisches Leben hierzulande „vielfältig, facettenreich, lebendig, voller Schwung“ betonte Steinmeier am Ende seiner Jubiläumsrede. Nach den vielen Rückschlägen im Laufe der Jahrhunderte und den Erlebnissen der Shoah ist dies ein Bekenntnis, das durchaus hoffen lässt. Blicken wir also in die Gegenwart. Autor: Christopher Peter Jüdisches Leben in Tempelhof-Schöneberg (und Berlin) heute Jüdisches Leben in Berlin ist heute nicht auf einen Kiez oder einen Bezirk wie Tempelhof-Schöneberg orientiert, sondern verteilt sich über die ganze Stadt – aus verschiedenen Gründen: Das hat einerseits damit zu tun, das Jüd*innen – obwohl Berlin die mit Abstand größte jüdische Community aller Städte hierzulande hat – nur eine sehr kleine Minderheit der deutschen Bevölkerung ausmachen. Andererseits gehen knapp die Hälfte aller Jüd* innen, die auch offiziell der jüdischen Gemeinde angehören und ihren Glauben praktizieren, häufig in die Institutionen und vor allem Synagogen, die ihrer Denomination, also ihrer religiösen Ausrichtung & Tradition (bspw. Reform/Liberal, Orthodox, Konservativ; Ashkenazi, Mizrahi, Sephardisch) entsprechen. Und diese sind wiederum über mehrere Bezirke verteilt, v.a. auch in Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Pankow. Dorthin zieht es dann auch jüdische Nachbarn für Besuche von Gottesdiensten. Die einzige Synagoge im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist Tiferet Israel, in der nach sephardischem[1] Ritus gebetet wird. Daneben gibt es Einrichtungen für jüdische Kultur, einige wenige jüdisch geprägte Gastronomie-Angebote und z.B. eine jüdische Grundschule. Historisch war das anders. Alleine in Schöneberg lebten 1933 ca. 16.000 jüdische Deutsche; in den letzten 100 Jahren waren darunter prominente Namen wie Albert Einstein, Billy Wilder, Kurt Tucholsky oder Marcel Reich-Ranicki. Entsprechend war jüdisch geprägte Infrastruktur viel umfangreicher, inklusive der ehemaligen Synagogen in der Passauer und der Münchener Straße. Der Anteil jüdischer Nachbarn ist heute im Bezirk viel kleiner und sie sind nur noch wenig sichtbar. Umso verständlicher ist deren Wunsch, dass die Mehrheitsgesellschaft sich nicht nur im Gedenken an die Shoah oder anlässlich antisemitischer Vorfälle in Betroffenheit übt, sondern sich auch offen und neugierig gegenüber jüdischem Alltag, jüdischen Realitäten und jüdischen Bräuchen im hier und jetzt zeigt. Die Sephard*innen waren zunächst seit dem 1. Jahrhundert n.d.Z auf der iberischen Halbinsel zuhause, bis sie im Jahr 1492 vertrieben wurden und sich v.a. in Nordafrika, aber auch in vielen Gegenden Europas niederließen. Eines der wesentlichen kulturellen Merkmale der Sephard*innen ist, dass sie (auch teilweise für Gesang) Ladino sprechen, eine romanische, dem Spanischen manchmal ähnliche Sprache. Historisch waren in Deutschland und Osteuropa v.a. ashkenazische Jud*innenen zuhause, deren (westgermanische) Sprache Jiddisch ist. Autor: Patrick Joest Dieser Beitrag ist Teil des Stichels Nr. 238 zum Thema Gegen Rechts. Alle weiteren Artikel findet ihr hier.
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