Schulpolitik & Corona – Grün vor Ort Lichtenrade 13. April 20214. Mai 2021 In dem Kurzstichel aus Lichtenrade gab es ein kurzes Interview mit Martina Zander-Rade, unserer schulpolitischen Sprecherin der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg und Jens Otte, Leiter der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule. Das Interview führte Anne Grunwald. Sie zogen Bilanz über das Krisenmanagement der Schulen nach diesem Coronajahr. „Es war extreme Kreativität und viel Improvisieren gefragt“ Grunwald: Mehr als ein Jahr Corona liegt nun hinter uns. Was ist Ihr Fazit aus dem letzten Jahr? Otte: Viele Entscheider und viel Entscheidungsfreudigkeit. Es war extreme Kreativität von den Schulleitungen gefragt und viel Improvisieren. Insgesamt muss ich sagen, dass ich das, was gemacht wurde, nicht als großen Wurf bezeichnen würde. Eher ein Stückwerk, das fortlaufend korrigiert wurde. Die Themen gehen los beim Mund-Nasenschutz, also welche Masken soll man verwenden, über die Aufstellung von Hygieneplänen, die Reinigung der Schulen, die selbst im Normalzustand Mängel aufweist, und Etliches mehr. Viele Schwächen unseres Systems sind jetzt deutlich geworden und die wenigen Stärken, die wir haben, sind nicht genügend herausgekommen. Auch ein Fazit ist die Schnelllebigkeit der Maßnahmen. Die Antworten, die wir jetzt geben, sind vielleicht in einer oder zwei Wochen überholt. Sei es der Umgang mit Astra Zeneca, sei es die Impfpriorisierung oder andere Dinge. Das macht es sehr schwierig, mit der Situation gut umzugehen. Ich denke, wir haben alle gedacht, dass Corona auch uns betreffen würde. Dass es uns aber in diesem Ausmaß und so langanhaltend betreffen würde, damit haben wir nicht gerechnet. Zander-Rade: Da kann ich Herrn Otte nur beipflichten. Insgesamt war es oft chaotisch und es wurde zu wenig auf die Wissenschaft gehört. Wir hätten uns auch mehr bei anderen Ländern abschauen und besser kooperieren müssen. Es geht darum, voneinander zu lernen, zu schauen, was andere Länder gut machen und wie wir besser zusammenhalten können. Und zwar global, denn eine Pandemie ist global. Das hat mich zu Beginn traurig gemacht, mittlerweile macht es mich wütend. Wir sind alle nicht die Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Infektiologie. Die streiten sich ja auch untereinander. Aber ich glaube, wenn wir alle an einem Strang gezogen hätten, wären wir jetzt schneller raus aus dieser Pandemie. Grunwald: Glauben Sie, dass wir im Nachhinein an die Schülergeneration Corona als die Generation denken werden, die ein Jahr verloren hat? Otte: Ja und nein. Die Kinder haben viel Unerwartetes lernen müssen. Sie wurden in der Schule zielgerichtet an neue Medien herangeführt. Dadurch haben die Kinder viele neue Kompetenzen aufgebaut und auch kollektiv mit ihren Mitschülern neue Erfahrungen gemacht. Sie haben ihre Eltern dauerhaft im Krisenmodus erlebt und ein sozial distanziertes Jahr hinter sich. Viele haben sich bewusst mit Leben, Gesundheit und Tod auseinandergesetzt. Was aber den reinen Rahmenlehrplan angeht, da dürfen wir uns nichts vormachen. Der wurde überhaupt nicht erreicht, obwohl es wirklich alle versucht haben. Aber innerhalb von einer Woche den Plan von zwei Wochen abzudecken, bedeutet nun mal eine Halbierung der Lehrzeit. Eltern, Schüler und Lehrkräfte haben sich zwar bemüht, das zu Hause abzufangen, aber das ist nicht dasselbe, als hätten die Kinder den ganzen Tag in der Schule verbracht. Zander-Rade: Ich denke, dass man nicht pauschal von einem verlorenen Jahr sprechen kann. Wenn wir nur auf den Lehrplan gucken, pflichte ich Herrn Otte bei, da haben wir tatsächlich „etwas verloren“. Aber wir alle, auch die Kinder, haben in diesem Jahr auch viel gelernt. Wir haben gesehen, dass die Kinder zwar besser gemeinsam, aber dass sie auch alleine lernen können. Wir haben gesehen, wie kreativ Kinder sein können, um einen Zugang zueinander zu finden: Sei es über Handy, sei es über E-Mail. Manchmal hat sich die Rolle Schüler*in-Lehrer*in einfach umgekehrt. Im hybriden Unterricht meiner Tochter z.B. haben die Schüler*innen dem Lehrer erklärt, wie die Übertragung mit dem Beamer funktioniert. Es war ein Austausch, es war auch mal diffus. Aber daraus haben wir alle auch viel mitgenommen. Wir lernen für das Leben. Es geht nicht nur darum, Formeln auswendig zu lernen oder Vokabeln. Also Fazit: Ich würde nicht von einem verlorenen Jahr sprechen, sondern von einem Jahr, das uns alle sehr geprägt hat und auch noch prägen wird. Grunwald: Wo hätten Politik und Behörden die Schulen besser unterstützen können? Otte: Zuerst einmal hätte das Informations- und Krisenmanagement besser sein können. Oft haben die Eltern Entscheidungen aus den Medien erfahren, bevor wir offiziell informiert wurden. Das war einfach unsäglich. Auch die Art, wie manche Entscheidungen getroffen wurden: Es wurde etwas entschieden, ohne mit denjenigen zu sprechen, die es umsetzen müssen. Das Abgeordnetenhaus hat z. B. gerade beschlossen, dass die Schüler*innen das letzte Jahr freiwillig wiederholen können. Die Diskussion darüber finde ich völlig richtig, aber man kann nicht die Entscheidung an den Anfang stellen, ohne mit den Schulen zu sprechen. Viele Schulen wissen gar nicht, wie sie das umsetzen sollen, wenn das Angebot von einer großen Zahl genutzt wird. Sie haben weder die Räume noch das Personal dafür. Bei vielen Themen hätte ich mir außerdem schnelle Hilfe gewünscht, kein Hin- und Herschieben des Schwarzen Peters zwischen Senatsverwaltung und Bezirk, also dem Schulträger. Wir wollten z. B. am Anfang der Pandemie von Eltern gespendete Luftreinigungsgeräte aufstellen, aber die damit verbundenen Fragen wurden einfach zu lange nicht geklärt. Gleiches gilt für das Reduzieren des Rahmenlehrplans. Es gibt dazu keine einheitliche Vorgabe, jede Schule macht hier etwas anderes. Oder beim Datenschutz. Bis heute haben wir trotz Nachfrage keine Positivliste, was wir eigentlich mit den Schüler*innen machen dürfen und was nicht. Wir alle bewegen uns im Graubereich. Zander-Rade: Meine Einschätzung ist da ganz ähnlich. Corona hat etliche Themen ans Licht gebracht, die schon zu lange ignoriert wurden. Z. B. hätten die Mitarbeitenden in den Schulen schon vor Jahren dienstliche E-Mail-Adressen bekommen müssen. Nun fällt uns auf die Füße, dass manche Lehrer*innen oder Sekretariate keine Dienstadressen haben, über die sie sicher kommunizieren können. Ähnlich sieht es bei der WLAN-Ausstattung aus. Nicht eine Schule in Tempelhof-Schöneberg hat einen Breitbandanschluss. Außerdem fehlten schon vor Corona Tablets und Laptops. Alle diese Themen kommen jetzt auf einmal hoch und können so schnell nicht gelöst werden. Außerdem haben wir gemerkt, dass das Behördenmanagement im Krisenfall an seine Grenzen kommt. Die Schulen wurden ein Stück weit alleine gelassen, das muss man so sagen. Jede Schule hat das Beste daraus gemacht. Bei manchen lief es besser, bei anderen nicht so gut. Sicher auch, weil sie mit anderen Hürden zu kämpfen hätten, z. B. weil die soziale Zusammensetzung in der Schüler*innenschaft eine ganz andere war. Manche Schulen sind von vornherein mit einer besseren Ausstattung gestartet. Andere Schulen hatten vor Corona ganz andere Herausforderungen und daher auch völlig andere Prioritäten gesetzt. Es fehlte ein Overhead, der das Ganze gebündelt und gefragt hat: Was brauchen wir jetzt? Was setzen wir jetzt um und zwar bürokratiearm und mit flachen Hierarchien. Das fängt beim Datenschutz an: Was dürft ihr machen? Was geht? Ich habe schon im Januar eine entsprechende Anfrage zum Datenschutz in der BVV gestellt. Die Antwort hätte ich binnen einer Woche bekommen müssen. Sie ist aber erst vorletzte Woche bei mir eingegangen. Das widerspricht jeder Geschäftsordnung. Inhaltlich hilft sie mir auch nicht weiter, da meine Fragen überhaupt nicht beantworten wurden. Außerdem hat die BVV schon vor einem halben Jahr auf unsere Initiative beschlossen, dass eine Taskforce zum Krisenmanagement in den Schulen etabliert werden soll. Das hieße, dass die Gremien – also alle gesetzlichen schulischen Gremien – regelmäßig per Videokonferenz zusammenkommen, damit man die Informationen nicht erst abends in der Presse liest, sondern sofort informiert wird und weiß, an wen man sich wenden kann, wenn etwas nicht funktioniert. Der Beschluss wurde bis heute nicht umgesetzt. Das verstehe ich nicht und es ärgert mich, dass gute Ideen nicht umgesetzt werden. Einfach mal ausprobieren, aber diese strikte Hierarchie und Bürokratie machen ein schnelles Handeln unmöglich. Wir haben im Moment einfach eine besondere Situation, in der die üblichen Amtswege und Vorgaben nicht funktionieren. Diese Abläufe sind für Zeiten gemacht, in denen es den Leuten gut geht und alles seinen geordneten Gang geht. Nicht für eine Pandemie. Hier sterben Menschen oder leiden langfristig unter Coronafolgen. Wir sind in einer Notsituation. Darum müssen wir uns kümmern. Hier haben wir noch viel Spielraum nach oben. Otte: Mir liegt jetzt zum zweiten Mal die Anfrage eines Vaters vor, der anbietet, alle Schüler kostenlos über sein Unternehmen, das in dem Bereich tätig ist, auf Corona zu testen. Das erste Mal wurde die Anfrage sofort vom Gesundheitsamt abgelehnt, obwohl wir die Tests dringend gebraucht hätten. Dieses Mal werde ich das Angebot direkt an den Senat schicken, damit es nicht gleich wieder an der Bezirksverwaltung scheitert. Grunwald: Sehen Sie auch Dinge, die Lehrer*innen, Eltern oder auch Schüler*innen hätten besser machen können? Otte: Ehrlich gesagt, sehe ich da wenig. Ich finde, die Eltern haben Unglaubliches geleistet, egal ob alleinerziehend und teilweise auch mit mehreren Kindern. Ich habe viele Gespräche in meinem Büro nur mit einer Box Tempotaschentücher geführt, nicht mit den Kindern, sondern mit Eltern oder Mitarbeiter*innen, die alles gegeben und sich gefragt haben, was sie noch machen können. Die Kinder haben sich erstaunlich schnell angepasst, einige sind über sich hinausgewachsen. Der größte Teil ist einfach so mitgelaufen wie im Normalbetrieb. Es gibt aber auch Verlierer. Kinder, die wir nicht erreichen konnten. Ganze Familien, die kaum erreichbar sind. Zander-Rade: Ich sehe das etwas differenzierter. Ich nehme das Fazit voran, wir sind alle Kind unserer Zeit. Das heißt, wenn wir die Dinge im Voraus wüssten, könnten wir anders handeln, aber so ist es nicht. Und die Menschen reagieren in solchen Situationen verschieden. Die Situation ist sehr drastisch für uns alle und das nun schon seit über einem Jahr. Wir können alle nicht raus und Luft schnappen oder uns in Gesellschaft austauschen und Luft machen. Das brauchen wir aber. Im Moment laufen wir alle auf Notstrom und haben wenig Energie. Unter diesen Bedingungen haben wir alle viel geleistet. Aber, wie auch in anderen Lebensbereichen, manche mehr und manche weniger. Tatsächlich hätte ich mir gewünscht, dass sich manche Pädagog*innen ein bisschen Know-how angeeignet hätten, was die Digitalisierung betrifft. Diese Menschen sind wiederum gut in anderen Dingen, haben viele Ideen, was sie sonst noch machen können, telefonieren mit den Eltern, verschicken Arbeitsbögen, was auch immer. Aber es sind genau diejenigen Pädagog*innen, die auch sonst sehr viel machen, die sich jetzt engagieren. Während diejenigen, die sich jetzt zurücknehmen, auch die sind, die sich sonst eher zurückhalten. Pauschal verurteilen möchte ich aber keinen, Eltern oder Lehrer. Wir haben alle unseren Hintergrund und machen das Beste daraus. Aber auch hier hätten wir uns alle mehr Unterstützung erhofft. Einerseits finanziell für die Eltern bzw. deren Arbeitgeber*innen, aber auch für die Schüler*innen. Erst jetzt, vor ein paar Wochen, sind die ersten Laptops angekommen. Das trifft natürlich besonders die Schüler*innen aus sozial schwächeren Haushalten, aber nicht nur die. Auch wer ganz ordentlich verdient, kriegt ein Problem, wenn auf einmal drei Kinder einen Computer brauchen, weil sie parallel Unterricht haben. Dann kommen die Laptops an, aber die Kinder können damit nichts machen, weil wegen des Datenschutzes nicht alle Programme drauf sind oder sie keine SIM-Karte haben. Das nutzt einem nichts, wenn man kein WLAN hat, z. B. weil man in einer Unterkunft wohnt. Erst jetzt kommen nach und nach die SIM-Karten für die Laptops. Aber auch nicht für alle. Das geht wieder die Hierarchie rauf und runter. Etliche Formulare müssen ausgefüllt werden. Ein riesiger Aufwand. Grunwald: Was hat in der Krisenzeit Mut gemacht? Zander-Rade: Dass wir alle in einem Boot sitzen, das Beste daraus machen. Das führt zu einer neuen gesellschaftlichen Solidarität. Dass wir voneinander lernen können und wissen, dass wir in Krisenzeiten zusammenhalten und unabhängig von der sozialen Schicht an einem Strang ziehen. Das ist auch etwas Schönes. Otte: Jede Krise birgt auch eine Chance in vielerlei Hinsicht. Mut machen mir die kleinen Highlights jeden Tag von Kindern oder Eltern, die über sich hinauswachsen. Außerdem kommen die Kinder teilweise so gerne wieder zur Schule zurück wie noch nie zuvor. Was auch ein Highlight ist, ist die Arbeit mit der halben Klassenstärke, das bestätigen mir auch die Kollegen. Es sind nie mehr als 15 Kinder in der Klasse. Außerdem hat meine Schule die maximale Unterstützung aus dem Digitalpakt von 80.000 € bekommen. Alle unserer Klassenräume sind mittlerweile mit Smartboards ausgestattet, auch die Lehrkräfte wurden damit geschult. Geld ist gerade kein Thema. Es gibt aber noch viele bürokratische Hürden. Der Teufel steckt im Detail. Hätten wir nicht schon vorher eine gute Dokumentation der Anträge für den Digitalpakt gehabt, wäre das nicht so schnell durchgegangen und wir hätten auch nicht so viel Unterstützung bei Senatsverwaltung und Schulaufsicht bekommen. Grunwald: Angesichts steigender Infektionszahlen werden Forderungen nach einem harten Lockdown laut. Was wünschen Sie sich für die Schulen? Otte: Kurz gefasst: Kontinuität und Verlässlichkeit. Dieses Hin und Her, diese vielen Diskussionen zu jedem Punkt. Das macht alle fertig. Sicher spielt auch eine Rolle, dass wir im Wahljahr sind. Aber es gibt einfach zu wenige Absprachen. A sagt etwas und B widerspricht sofort. Wir haben an dieser Stelle ein sehr unglückliches Niveau erreicht, das muss ich leider sagen. Die Senatsverwaltung spricht nicht mit dem Schulträger, also dem Bezirk, sondern sie schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Und so ist es in vielen Bereichen. Grundsätzlich wäre es für die Kinder natürlich schlimm, wenn wir die Schulen wieder komplett schließen würden. Viele Kinder erreichen wir dann einfach nicht. Je älter die Kinder werden, desto leichter fällt es ihnen, mit den digitalen Medien umzugehen. Für Erst- und Zweitklässler ist das ein Albtraum, da bleibt sehr viel an den Eltern hängen. Man kann in dem Alter vieles einfach nicht digital machen, sondern braucht Betreuung. Da darf man sich nichts vormachen. Das lässt sich auch mit Sommer- oder Ferienschule nicht auffangen. Wechselunterricht wäre mir daher weiterhin recht, aber nicht nur unter dem Aspekt Rahmenlehrplan erfüllen, sondern wirklich auf die sozialen Bedürfnisse der Schüler eingehen. Außerdem muss sich die Reinigungssituation an den Schulen verbessern. Unsere Schule hat jetzt eine Tagesreinigungskraft bekommen, die tagsüber durch die Schule geht. Das ist großartig. Sie guckt selbst, was gereinigt und desinfiziert werden muss. Zander-Rade: Harter Lockdown bedeutet ja komplett zurück in den Digitalunterricht. Das entscheiden nicht wir. Bei einer hohen Inzidenz macht es natürlich Sinn, Begegnungen und Wege zu reduzieren. Die Kinder müssen zur Schule kommen und haben auf dem Schulweg und in der Schule Kontakt. Das können wir nicht verhindern. Ich würde auf die Fachleute mit der entsprechenden Expertise hören. Ansonsten würde ich sagen: Schule so lange offenhalten wie möglich und vernünftig. Und testen, testen, testen. Impfen, impfen, impfen. Wenn der harte Lockdown kommt, würde ich mir mehr Betreuung für die Familien wünschen. Mehr hineingeschaut und gefragt: Was benötigt ihr? Z.B. wenn Eltern mit einem oder mehr Kindern im Homeoffice sind, bedarf es wesentlich mehr Unterstützung. Nach einem Jahr hätte ich gedacht, dass die Bedürfnisse klar sein sollten. Für die Schulen wünsche ich mir mehr Eigenverantwortung. Die würden die Schulen auch gerne übernehmen, wenn sie die Kompetenzen hätten. Im Schulgesetz wurden schon vor zig Jahren mehr Kompetenzen für die Schulen verankert. Allerdings haben wir in der Praxis die Erfahrung gemacht, dass es an diversen Hürden scheitert, wenn Schulen diese Verantwortung auch tatsächlich übernehmen wollen, wenn z.B. eine Schule sagt: „Ich kaufe jetzt eigenverantwortlich Luftreinigungsgeräte“. Dann darf die Schule die Geräte vielleicht kaufen, aber sie darf sie nicht selbst anschließen. Oder es scheitert am Veto der Behörde, weil damit ungeklärte Haftungsfragen verbunden seien. Es werden so viele Probleme „kreiert“. Da wünsche ich mir mehr Abstand, weniger Bürokratie. Und natürlich ist Hygiene ganz oben. Toilettenpapier, Seife und es muss gelüftet werden. Das sind Basics, die ich schon vor etlichen Jahren angemahnt habe. Und trotzdem müssen wir im Jahr 2021 noch darum betteln, dass das Toilettenpapier nachgelegt wird. Sowas ist in anderen Ländern seit Jahrzehnten Standard. Grunwald: Welche Herausforderungen sehen Sie, wenn es wieder in den Normalbetrieb geht und was wünschen Sie sich von der Politik? Otte: Ich denke, es wird eine Herausforderung, wieder mit der vollen Klassenstärke zu arbeiten. Und natürlich müssen die Spätfolgen abgefangen werden. Ohne zusätzliches Personal und zusätzliche Mittel wird das nicht gehen. Wir dürfen nicht glauben, dass es nach der Pandemie so weitergehen kann wie vorher mit den ständigen Kürzungen. Ich bin jedes Jahr bei der Personalausstattung entsetzt, was den Schulen alles unter der Mogelpackung „Umstrukturierung“ an Stunden weggenommen wird. Wir kämpfen hier wirklich um einzelne Stunden. Es wird am völlig falschen Ende gespart. Wir haben zwar im Moment mehr finanzielle Spielräume, aber das meiste wird nur temporär bewilligt, obwohl wir es auch im Normalbetrieb bräuchten wie z. B. die Tagesreinigungskraft. Auch mehr Schulhelfer*innenstunden sind eine einfache und günstige Möglichkeit, die Qualität an den Schulen zu verbessern. Grundsätzlich wünsche ich mir außerdem, dass Diskussionen mit den Betroffenen vor einer Entscheidung geführt werden und nicht erst hinterher. So ersparen wir uns viel Debattieren im Nachhinein. Zander-Rade: Dem kann ich nur zustimmen. Wir brauchen mehr Kooperation, mehr Empathie und einen besseren Blick für die Bedürfnisse in der individuellen Situation. Außerdem hat uns die Krise gezeigt, dass wir stärker daran arbeiten müssen, Bürokratie und starre Hierarchien abzubauen. Es wird noch immer zu sehr nach oben geschielt, immer nur gefragt „Was ist erlaubt?“. Wenig innovativ, wenig Zivilcourage. Und hier meine ich nicht die Menschen, die Betroffenen, sondern die Verantwortlichen, die Behörden mit ihren Leitungen. Grundsätzlich freue ich mich natürlich, wenn wir wieder zurück zu „normal“ gehen. Alles, was wir früher so langweilig und selbstverständlich fanden, danach sehnen wir uns jetzt. Ich hege die Hoffnung, dass wir durch die Pandemie lernen, mehr Wertschätzung gegenüber der Normalität zu empfinden, aber auch füreinander: mehr Respekt vor den Familien, vor der Arbeit der Lehrer*innen, Erzieher*innen und allen Beschäftigten an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. Ich bin da optimistisch. Grunwald: Wie würden Sie diesen Satz beenden: Das Jahr 2021 war für die Schulen ein gutes Jahr, wenn … Otte: Mit mehreren Endungen: …alle ohne Schäden durch die Krise kommen. …nicht ständig weitere Veränderungen und Anforderungen auf uns alle zukommen. …keine Spätfolgen auftreten. …wir die Pandemieerfahrung für die Zukunft nutzen. …wir stärker überlegen, kommunizieren und dann handeln, statt immer neu zu debattieren. …die Schulhofplanung für 2022 bald beginnen kann. Den letzten Punkt habe ich aufgenommen, weil es so ein Hoffnung machendes, reales Geschehen ist, das Kindern, Mitarbeiter*innen und Eltern wieder ein Stück Normalität zurückgibt, nach der wir uns gerade alle sehnen. Zander-Rade: Schwierig, dafür den einen passenden Satz zu finden. Für mich ist entscheidend, dass wir insgesamt die Pandemie überwunden haben und der gesellschaftliche Zusammenhalt, der sich ergeben hat, bestehen bleibt, auch und gerade im Mikrokosmos Schule. Die Schule ist für jedes Kind und jeden Menschen ganz wichtig und oft elementar. Was dort gut oder weniger gut läuft, prägt uns für das ganze Leben. Das Interview führte Anne Grunwald, Mitglied der Ortsgruppe Lichtenrade von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und selbst Mutter einer Tochter.
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