Fair kaufen – Ein Blick über den Tellerrand

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von Jessica Mroß, Bezirksverordnete

Selbstverständlich wollen wir einen Mindestlohn, von dem wir leben können. Selbstverständlich wollen wir Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen. Selbstverständlich kaufen wir Produkte, von denen wir nicht wissen, ob die Bedingungen, unter denen sie hergestellt wurden, diese Ansprüche erfüllen. Um ehrlich zu sein: Meistens tun sie das nicht.

Wenn wir von „Fluchtursachen bekämpfen“ reden, reden wir von der Reduzierung von Rüstungsexporten, von Demokratisierung und von der Bekämpfung des Klimawandels, der ganze Landstriche unbewohnbar macht. Wovon wir meistens nicht reden, ist, dass die Lebenserwartung bei uns bei 81 Jahren liegt, in Bangladesh bei 66 Jahren und in Zimbabwe bei 40 Jahren – und das hat gewiss seine Ursachen: in mangelnder Gesundheitsversorgung und in einem Leben, das kaum eines ist. Wenn Fabrikarbeiter_innen in Pakistan an sieben Tagen in der Woche meistens mehr als zwölf Stunden am Tag unter unwürdigsten Bedingungen an unserer Kleidung arbeiten und ihnen selbst der einheimische Mindestlohn verwehrt bleibt, in Kenia Feldarbeiter_innen für unsere Rosensträuße hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln für Hungerlöhne ausgesetzt sind und in Ghana Kinder für unsere Schokolade arbeiten, kann das nur krank machen und den Wunsch entfachen, diesem Elend und der andauernd Angst, nicht zu wissen, wie man überleben soll, zu entkommen.

Ein Ausweg, der vor Ort geschaffen werden kann, ist, diese Arbeitsbedingungen zu ändern. So setzt Fairtrade statt auf ausbeuterische auf partnerschaftliche Prinzipien und möglichst langfristige und direkte Handelsbeziehungen. Durch die Schaffung von Netzwerken, zum Beispiel von Kleinbäuer_innen, können diese ihre Produktion besser organisieren und ihre Produkte besser vermarkten. Das macht es dann für unsere Händler_innen leichter, an sie heranzukommen und sie wissen.

Und wir? Für uns ist das weit weg. Das Leid ist unsichtbar, wenn nicht einmal im Jahr eine Doku läuft oder in den Nachrichten berichtet wird, dass Fabrikarbeiter_innen zu Dutzenden verbrannt sind. Dabei sind wir die Konsument_innen; wir bestimmen, was wir abnehmen. Aber oft wissen wir selbst nicht, wie wir mit unserem Geld gut hinkommen sollen, wo wir faire Produkte finden oder wollen, was unsere Lebensmittel angeht, lieber darin investieren, dass sie gesund sind, also bio. Im Schnitt geben die Deutschen jedenfalls pro Jahr lediglich 16 € pro Kopf für faire Lebensmittel und faires Handwerk aus. Selbst die fairen Kassenschlager Kaffee und Kakao schaffen es damit nur auf 4 bis 6 Prozent Marktanteil.

Aber in den letzten Jahren hat sich viel getan. Der Umsatz der fairen Produkte steigt rasant. Dank des jahrzehntelangen Engagements und vieler politischer Initiativen gerade auch Renate Künasts ist unser Bewusstsein für faire Lebensmittel und Textilien inzwischen recht ausgeprägt (https://www.renate-kuenast.de/bundestag/verbraucherschutz/). Unsere erhöhte Nachfrage hat bereits zu einem größeren Angebot an fairen Produkten geführt. Wer das Geld hat, für den ist es inzwischen leicht, im Supermarkt fair gehandelte Lebensmittel zu finden. Der politisch korrekte Adventskalender lässt grüßen.

Aber was ist mit all unseren anderen Einkäufen? Wer recherchiert, in Szenekiezen wohnt oder politisch inkorrekt online kauft, kommt auch gut an fair gehandelte Kleidung, Taschen und Spielwaren. Und was gibt`s noch fair? Kosmetik, Blumen, Sportartikel und Gold. Was man halt so täglich braucht.

Ein Produktüberblick findet sich bei FairTrade Deutschland:

https://www.fairtrade-deutschland.de/einkaufen/produkt-finder.html.

Bei Papier, Holzprodukten und Möbeln wird`s schon schwieriger; da gibt`s dann ein anderes Siegel mit anderen Standards. Und der faire Weihnachtsbaum hat wieder ein anderes Siegel.

Fair Trade Town Tempelhof-Schöneberg

Zeit also für die große Politik, für mehr internationales Engagement zu sorgen. Und Zeit, für die kleine Politik, mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn nur steter Hinweis auf neue faire Produkte höhlt den alten Einkaufstrott. So haben wir Bündnisgrüne angeregt, dass der Bezirk 2018 mithilfe einer Angebotsübersicht und organisierten Sammelbestellungen den bezirklichen Einrichtungen die Beschaffung von fair gehandelten Produkten erleichtert, ein „Faires Kino“, also bezirkliche Filmvorführungen zum Thema abgehalten werden und faire Sportbälle als Preise bei Sportfesten vergeben werden. Und wir merken: Dadurch, dass wir immer wieder das Thema setzen, regen wir immer wieder Menschen an, mal in ihrem Umfeld zu gucken, wo sie Veränderungen im Einkauf vornehmen können. So hat zum Beispiel der FC Viktoria nach der Debatte über die Sportbälle gleich mal nachgeschaut, welche Sportartikel es sonst noch fair gibt und ob im Vereinsheim nicht künftig auch faire Getränke angeboten werden können.

Seit gut einem Jahr nun ist Tempelhof-Schöneberg – gegen nicht unerheblichen Widerstand der anderen Parteien – auf Bündnisgrüne Initiative hin Fairtrade Town und musste für diesen Titel mit dem berühmten Siegel – der aktuell mit neuen Ideen verteidigt werden muss – entsprechende Aktivitäten aufweisen: Gastrogewerbe, Einzelhandel, Vereine, Kirchengemeinden, Schulen und Kitas müssen für die Beteiligung gewonnen werden und der Bezirk muss für Fairtrade werben. Das heißt zum Beispiel, dass die Gustav-Langenscheidt-Schule eine faire Koch-AG hat, in der die Schüler_innen alles über Fairtrade lernen, und in der Fußball AG mit fairen Bällen spielt. Gastrobetriebe und Einzelhändler_innen werben mit fair gehandelten Lebensmitteln und Vereine und Kirchengemeinden organisieren Feste, auf denen es faire Produkte gibt.

Das sind tausend kleine Schritte, organisiert vor allem durch extrem hohes Engagement von wenigen Freiwilligen. Aber es lohnt sich. Besonders für das eigene Gewissen – und die Arbeiter_innen in Ostasien und Afrika. Denn Produkte, auf denen das Fairtrade-Siegel prangt, garantieren, dass Menschen von ihrem Lohn leben können, gesündere Arbeitsbedingungen wie Schutzkleidungen, Urlaub und soziale Vorsorge haben und Kinder zur Schule gehen können.